Wozu in die Ferne schweifen…

…wenn das Unsoziale doch so nah liegt. Habe das Wochenende in der Ostslowakei verbracht und es auf einer Hochzeit geschafft, von den vierzig angebotenen Wodkaflaschen nur ein Stamperl trinken zu müssen. Die Braut ist Näherin in einer Fabrik für Berufskleidung – deutsche Firma, slowakische Produktion. Nun gut, kennen wir ja. Ihr Gehalt: 320 Euro.

Ein Land weiter sind 320 Euro weniger als die Geringfügigkeit. In der Slowakei das Gehalt für einen 40-Stunden-Job. Würde das Preisniveau im allgemeinen so niedrig sein, würd ich ja noch etwas Verständnis haben. Aber: Der Lidl und der Billa haben die gleichen Preise wie die in Wien. Die Greisler haben fast nur „West-Produkte“ (eigentlich schlimm, dass man das 23 Jahre nach der Wende noch so trennt, ist aber so. Auch bei den Slowaken selbst), ebenfalls zu Westpreisen. In der Altstadt von Levoca ein Optiker mit Brillenfassungen um 100 Euro aufwärts. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Brillen Touristenprodukte sind. Das Benzin – noch teurer als in Österreich. Es gibt wenige Ausnahmen – Wohnen und Autos sind billiger als in Österreich.

In anderen Worten: Um 300 Euro kann man ein Monat lang, noch dazu mit Kind und lange Alleinerzieherin, nur am alleruntersten Wohlstandslevel überleben, in einem Zimmer in der Wohnung des Bruders.

Warum also bis nach Bangladesch schauen? Geht schon in der Slowakei los…

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16 Gedanken zu „Wozu in die Ferne schweifen…

  1. Avatar von M_S M_S sagt:

    eine näherin verdient bei uns auch nur knapp an der statistischen armutsgrenze. die textilbranche ist die schlechtest bezahlte handwerkssparte überhaupt (auch bei meistern).

    das und das preisgefälle nach osteuropa hin lassen die schneider in österreich aussterben, es werden hier kaum noch lehrlinge ausgebildet. das führt gerechterweise dazu, dass es irgendwann bei uns keine mehr gibt und die kollegen in den nachbarländern etwas mehr verdienen (angebot und nachfrage). es sei ihnen vergönnt, sie sind handwerklich wirklich hervorragend.

  2. Avatar von Nicola Nicola sagt:

    hab nachgegoogelt – laut kollektivvertrag 2011 (http://tinyurl.com/cckmbzr) muss eine näherin ab dem 3. beschäftigungsjahr 7,41€/h verdienen – das ist im Monat 1 185,6, also viermal so viel!
    trotzdem. unglaublich.

  3. Avatar von ella ella sagt:

    ist ein wenig „off topic“, ukrainisch/slowakische grenze voll mit leuten die versuchen sich in der ukraine mit günstigeren lebensmittel und sprit zu versorgen. eine altenpflegerin, die in österreich arbeitet, erzählte sie müssten das machen, sonst kämen sie mit dem geld nicht durch’s monat.
    die grenzer sind unangenehmst, auf beiden seiten, tlw unglaublich erniedrigende szenen…

    wer mal lust hat EU aussengrenze zu besichtigen und zu sehen wie menschen wegen drei ! packerl zigaretten und einigen kilo zucker behandelt werden – ist nicht weit.
    übrigens : levoca ist reizend.

    • Avatar von nunette nunette sagt:

      ja, levoca ist wirklich schön! der bräutigam ist der pfleger meines vaters, der bei uns in zwei wochen soviel verdient, wie er als altenpfleger im spital in zwei monaten verdienen würde. und selbst für unsere verhältnisse kriegt er nicht viel, dafür, dass er zwei wochen im monat 24h verfügbar ist. er hat auch gemeint, in der slowakei kann er nicht leben, würde er in der slowakei arbeiten – trotz selbst für dortige verhältnisse billiger wohnung. ich weiß zwar nicht, was ich als alternative „einfordern“ soll (grundsicherung gut und schön, grundsicherungsmissbrauch? leute, die nix für ihre kohle tun WOLLEN, stören mich sehr. Leute, die was tun wollen und keine gelegenheit bekommen, denen gehört geholfen!), aber die tatsache, dass man trotz 40h-job nicht überleben kann – die macht mich unrund und rumort in mir…

  4. Avatar von Andrea nukimama sagt:

    Irgendwie auch ein bissl off- topic, aber trotzdem wieder nicht: eine durchschnittliche Verkäuferin in Ungarn hat auch nich wesentlich mehr, je nach Erfahrung irgendwo von 300 bis 700€ netto. (Handelsangestellte stehen bei uns ja auch eher am Ende der Nahrungskette, aber stimmt, der Textil-KV ist noch schlechter). Die ungarische Wirtschaft ist am Sand, Arbeitslosigkeit selbst mit erstklassiger akademischer Ausbildung erschreckend, 27% Mehrwertsteuer, Budapest und Umgebung fast gleiches Preisgefüge wie bei uns. Im Osten günstiger, dafür aber noch schlechtere Chancen.

    Danke lieber Gott, dass es mir so gut geht…

    • Avatar von nunette nunette sagt:

      Die Frage ist nur, wie lange es noch dauert, bis genau diese Situation bei uns ankommt. Ein Crash wird kommen, das ist sicher wie das Amen im Gebet – fragt sich nur, wann und vor allem wie. An die Zukunft denken macht schon länger keinen Spaß mehr. Wir sind doch eingekreist von Krisen: Griechenland, Spanien, Ungarn, Irland, Slowakei – überall stolpert sie wirtschaftlich nur noch so vor sich hin und haben keine Ahnung, was da noch so kommt. Extrem traurig.

  5. Avatar von M_S M_S sagt:

    wenn wir glück haben und europa die kurve kriegt, wird das preisgefälle flacher (passiert laufend seit der ostöffnung). dann ist es irgendwann vorbei mit den billigen dienstleistungen – was uns in sachen pflege sehr weh tun wird.

    mein freund ist im krankenhausbereich tätig und meinte, es kam bereits der vorschlag, nicht die betreuung zu importieren, sondern die pflegepatienten zu exportieren. noch ferne theorie, aber ich traue der zukunft so einiges zu.

  6. Avatar von ella ella sagt:

    weil wir beim thema (?) sind : bei gelegentlicher durchreise von rumänien, bulgarien, rumänien,… frag ich mich ob jemals irgendeiner der verantwortlichen EU-politikerInnen den deprimierenden zustand dieser zerfallenden ländern gesehen hat ? abseits von flughäfen, 5sterne hotels & neuen tagungszentren.

    die menschen dort sind ärmer als je zuvor mit mini-einkommen & mini-pensionen , trotz (fast) westeuropäischem preisniveau.

    was ich noch sehe : österreichische bankfilialen.
    von albanien bis zur ukraine.

    das „neue“ sind westliche diskonter, drogerieketten, klamottenläden, die üblichen verdächtigen.
    womit sich ja irgendwie der kreis zum kleiderkauf schliesst ….

  7. Avatar von filla filla sagt:

    kann dem nur zustimmen. erstmal in der eigenen umgebung umschauen – da findet man genug, was nicht stimmt und was verbessert werden kann!

  8. […] hab doch vor einiger Zeit über die Bekannte aus der Slowakei geschrieben, die als Näherin arbeitet und im Verhältnis den totalen Hungerlohn kassiert. Dass ihr […]

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