Und alle so: Skandaaal!

Alter (Textil-)Schwede, bin ich im Moment eine Nörglerin. Ich hoff, das gibt sich bald mal wieder, mein Magen macht sich auch schon wieder bemerkbar, der erträgt meine Laune auch nicht mehr. Aber sorry, ich muss nochmal nörgeln. Ich bin genervt, und zwar sowohl von Textilfirmen als auch von den Medien.

Also. Mango hat vor kurzem eine Bluse auf den Markt gebracht, die angeblich „Blitze“ drauf hat, aber ausschaut wie eine Naziuniform mit lauter SS-Runen drauf. Die zwei scharfkantigen „S“ nebeneinander, geschichtlich Interessierte und häufige Actionfilmseher werden es kennen. Und gleich ein riesiger Aufschrei auf Twitter, Facebook und in weiterer Folge auch in den klassischen (Online-)Medien weltweit. Nicht falsch verstehen, an sich find ich das ja super, wenn Nachrichten den Weg von persönlicher Entrüstung (und Darstellung derselben auf der persönlichen Online-Mitteilungsfläche) zu allgemeiner Information in breiten Kanälen finden – auch mein Blog wäre nicht so bekannt, wie er nun ist, ohne genau dieses Web 2.0 – System.

Aber in dem Fall find ichs erstens ermüdend und zweitens saublöd. Anscheinend merkt niemand, dass das pures und reines Marketing ist. Und gar nicht mal blödes! Man produziert und präsentiert ein Produkt, das eindeutige Assoziationen hervorruft, bekommt einen Sturm der Entrüstung und somit viel, und zwar richtig sauviel Aufmerksamkeit, freut sich nach innen über die vielen, vielen Klicks und vor allem diejenigen, die von der SS-Bluse weiterklicken und dann ein Kleid finden, das man ja mal probieren könnte und schwupps schon ist es bestellt. Nach außen wird natürlich mit großem Aaah und Oooh und Hooooppala und Tschuuuulligung und Isunsnichtaufgefallen und bittewarvollkeineAbsicht herumgetönt.

Eines muss man Mango sogar zu Gute halten: Die habens zumindest ein bisserl subtiler hingekriegt. Das SS-Zeichen (im Unterschied zur SS selbst, ich meine nur die Bebilderung!) ist glaub ich nicht ganz so bekannt wie folgende Beispiele: Allein in den letzten Monaten hat Zara zuerst eine Handtasche mit Hakenkreuz und einen Kinderpulli (!) mit Judenstern (!) angeboten. Außerdem war dann noch eine andere Kette, ich bin mir nicht mehr sicher, wer, die einen Pulli verkauften, die aussah wie nach dem Selbstmordattenat/Amoklauf/wasweißichmitvielBlut.

Letztes Jahr warens noch die sexistischen Schamhaarwerbungen von American Apparel, die mich auf die Palme gebracht haben. Wobei auffiel: Wirklich schockieren konnten die nicht (was an und für sich schon schockierend ist, aber das ist eine andere Diskussion). Dann muss halt jetzt was ärgeres her. Ah ja! Da war doch was! Nationalsozialismus! Sechs Millionen getötete Juden! Verfolgung von Randgruppen, von Homosexuellen, von Wandervölkern, alle waren sie aus Sicht einer beängstigend verqueren Ideologie nicht lebenswert. Au ja, mit den Bildern kann man schockieren! Da regen sich alle drüber auf – in einer Zeit, in der man mit „der neuen Kollektion“ als Fast Fashion Unternehmen eh nicht mehr punkten kann, weil einfach täglich neue Sachen in den Webshops und Filialen dieser Welt landen. Auch spezielle modische Schnitte und Trends sind kein Newswert mehr – zuviel gibt es, zuviel gleichzeitig, und im Endeffekt ein großer Teil in Rekordzeit kopiert von den Laufstegen dieser Welt! Neinnein, da muss schon mehr her, da müssen die letzten Tabus niedergerissen werden. Als nächstes gibt’s wahrscheinlich Standbilder von Hardcore-Pornos auf Kindershirts, weils eh schon so normal geworden ist, kann sich ja jedes Kind im Internet anschauen. Oder Leichenbilder, mit Pailletten umrandet (Pailletten = immer Kinderarbeit. Diese Gleichung krieg ich noch in alle meiner LeserInnen rein, fix!). Echt, Leute. Perfektes Marketing. Und so viele fallen auf den Aufschrei rein.

Ich kann ja verstehen, dass der erste Impuls genau dieser Aufschrei ist – und es ist auch gut so, dass es Leuten noch nicht egal geworden ist, SS-Runen, Judensterne oder Hakenkreuze auf Modeaccessoires zu haben. Also dass sie das nicht wollen, mein ich. Aber ich finde es absolut verachtenswert, niederträchtig, wääääääh, dass es anscheinend Menschen gibt, die erstens in einflussreichen Marketingpositionen weltweit sitzen und zweitens mit genau diesem Aufschrei spielen. Dieser Gedanke macht meine Magenschmerzen nicht zwingend besser, merk ich grad.

Weil ich garantiert nicht bebildern will, worüber ich geschrieben habe, weil das meinem gesamten Artikel widersprechen würde, und weil ich sowieso schon einen Horror davor hab, mit welchen Suchbegriffen zweifelhafte Suchmaschinenuser nun auf meiner Seite landen werden, gibt’s für euch jetzt ein Bild von einigen Studenten, die ich sehr bewundere (und denen ich meine Diplomarbeit gewidmet habe, ja, so super find ich die). Ich hoff, es wissen jetzt alle, wer das da unten ist (Quelle, um nix zu verraten: Facebook).

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Und weil es grad kritisches Feedback auf Facebook dazu gegeben hat: Ja, ich finde das Bild passend. Weil man keine künstlichen Skandale rund um eine Zeit erschaffen braucht, die voll von menschenerschütternden Skandalen war. Nicht an die Uniformen soll man sich erinnern, sondern an die Menschen, die Opfer dieser Uniformen (und Uniformierten) wurden. Die hier abgebildeten StudentInnen gehören für mich zu den mutigsten Menschen jener Zeit. An denen man sich orientieren sollte.

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6 Gedanken zu „Und alle so: Skandaaal!

  1. Danke für diesen Beitrag!

    Geld verdienen mit Provokation und grenzenloser Geschmacklosigkeit – mir war nicht klar, wie weit das geht.

    Und ja, diese Studenten hatten unglaublichen Mut und haben ihr Leben für ihre Überzeugung gegeben.

  2. Uta sagt:

    Danke für´s Aufmerksam machen und für diesen Artikel!

  3. Jini sagt:

    Schön das hier mal der Mango Skandal sachlich aufgearbeitet wird. Für mich reines Marketing und sehr geschmacklos..

    LG
    Jini

  4. Barbara Melmer sagt:

    Ich stimme dir vollkommen zu und bin entsetzt wie unkritisch die breite Masse mit diesem und vielen anderen Themen umgeht. Zum Glück gibt es Menschen wie dich, die Kraft und Energie haben, Dinge auzudecken und zu hinterfragen. Das Bild von Sophie und Hans Scholl ging mir sehr nahe. Ich finde auch, dass man die Erinnerung an solch ungmein mutige Menschen aufrecht erhalten sollte. Danke!

  5. […] all den Katastrophenmeldungen und umstrittenen Themen wie Nazi-Mode, Mini-one-Size, Bio-Elite und Gift in der Supermarktkleidung heut mal wieder was Entspannendes. […]

  6. Gut geschrieben. Aber… Die heutige Jugend wird kaum wissen, wer sich hinter der „Weißen Rose“ verbirgt.

    Und man darf nicht vergessen, dass in den Marketingabtlg. junge Menschen sitzen, die weder mit SS, noch dem Hakenkreuz (seit Jahrtausenden in anderen Religionen benutzt – nur Herr H. hats richtig verbockt *sarkasmus*) noch sonstwas über Völkermord wissen. Vielleicht war es einfach nur Blitzsymbol aus Photoshop gedacht – nicht mehr und nicht weniger.

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