Ich bin ein Realo-Fundi-Fundi-Realo

Die Welt der NGOs ist jetzt seit mittlerweile fast sechs Jahren meine. Einiges funktioniert hier genau gleich wie in der freien Wirtschaft oder sonst wo, bei anderen Sachen ticken die Uhren aber sowas von anders (grad mal, dass sie nicht gleich mal komplett gegen den Uhrzeigersinn gehen, denk ich mir manchmal). Was es bei NGOs immer, und zwar wirklich ausnahmslos IMMMMMMMER gibt, sind zwei verschiedene Glaubensrichtungen. Egal, wo ich war, ob Tier-, Natur- oder Umweltschutz, überall gabs die Fundis und die Realos. Die Fundis sind die, die eine andere Welt, ein anderes System träumen, die die Welt in ihren Grundfesten niederreißen oder zumindest ändern wollen, die Realos sind die, die die Weltverbesserungsgedanken in ihren aktuellen Alltag einbauen und das ganze etwas realistischer sehen. Die Light-Version quasi. Einstellungstechnisch habe ich immer schon mit den Fundis sehr sympatisiert, je linker die Zecke, desto cooler waren sie in meinen Augen, die Einstellungen der Damen und Herren (ach Hans, du fehlst 😀 ). Gegenpositionen zum aktuellen wirtschaftlichen Geschehen, ich liebe es.

Allerdings, und dazu steh ich auch: Für aufsehenerregende Aktionen bin ich zu feig. Das überlass ich den Fundis. Und ich bewundere dann ihre Aktionen. Diese hier zum Beispiel hat großen Spaß gemacht, die Kollegin, die den Fisch zusammengenäht hat, hat meinen endlosen Respekt. Und das da ist mit großem Abstand meine Lieblingsaktion (knapp gefolgt von der hier, ich hab Tränen gelacht, wie die KollegInnen davon erzählten):

Aber ich selbst, ich war nie so eine linke Zecke (ein Begriff, der für mich übrigens ausnahmslos positiv konnotiert ist, nur damit da jetzt keine Missverständnisse entstehen). Oder anders: Im NGO-Umfeld bin ich Realo bis dorthinaus, trete ich raus in die „echte Welt“ ( 🙂 ), hab ich in den Augen anderer Fundi-Perspektiven. In meiner Welt jedoch: Gemäßigt.

Eigentlich ein Nachteil, dachte ich mir vorgestern.

Da war ein bissl ein seltsamer Tag. In der Früh war ich schnell beim Hofer, und der hat gerade Jersey-Röcke im Angebot um siebenEuroundeinpaarZnepfte. Und was macht die Nunu? Steht mit großen Augen davor und kämpft kurz mit sich selbst – diese paar Sekunden von wegen „Das is aber schon billig und jö kann ich gut brauchen!“, die sind immer noch in mir drin. Immer noch. Bedenklich, unheimlich, bitte was war da grad mit mir los – dachte ich wenige Minuten später am Weg ins Büro. Den Rock hab ich nicht gekauft.

Am Abend traf ich mich dann noch höchst spontan mit einer Freundin im dritten Bezirk. Für nicht-WienerInnen: Der Dritte ist groß, nicht gerade nah an meinem Heimathieb, und wenn man nicht was nah an der Ubahn ausmacht, wirds anstrengend. Nachdem meine Frau Mama derzeit kniemarod darniederliegt, hab ich mir das Auto geschnappt (übrigens das Auto, in dem ich vor 12 Jahren Autofahren gelernt habe, inzwischen ist es ein bissl beinand wie Kamel unter Obelix, hat was von einem Traktor mit Sportkupplung, aber es ist zuverlässig bis dorthinaus, unser Pizzaboten-Teil. Eine Misswahl wird der himmelblaue Kübel jedoch nicht mehr gewinnen). Mit dem Auto war ich trotz Hauptverkehrszeit in knapp 20 Minuten dort, öffentlich hätt ich mehr als doppelt so lang gebraucht.

Und ja, ich finds eigentlich saublöd, mit dem Auto in der Stadt von A nach B unterwegs zu sein, wenn man grad nichts zu transportieren hat außer sich selbst. Ich bin gerne mit den Öffis unterwegs, und noch viel lieber am Fahrrad, in meinen Augen die beste Form der Fortbewegung in der Stadt. Ich hinterfrage immer wieder das Verhalten meiner Brüder, die beide vom Innenstadtbezirk in städtische Randlagen gezogen sind (wobei der eine immerhin noch ein paar Straßenbahnen in der Nähe hat, der andere hingegen wirklich das Wien-Ende-Schild mit viel Wald dahinter) und mit dem Auto in die Arbeit fahren (ok, W.: fuhren). Find ich manchmal doof. Sie habens grün und schön, aber die weiter drin in der Stadt wohnenden dürfen ihre Abgase atmen.

Trotzdem, boah war das leiwand, gegen halb elf verabschieden und – danke grüne Welle am Gürtel – genau 12 Minuten später zuhause zu sein. Super auch, wenn genanntes Waldrand-Bruderherz mit mir weggeht und gleichzeitig dann um vier in der Früh Taxi für mich spielt. Alles genial! So bequem! Und ich fahr auch wahnsinnig gern selbst Auto, es macht mir schlicht Spaß.

Was ich damit sagen will: Ich könnte locker eine Frau sein, die leidenschaftlich textile Wochenangebote beim Hofer kauft, und sich in der Stadt nur mit dem Auto fortbewegt. Wär ganz einfach, ich müsst einfach nur dieser ganzen Schweinehundezucht in mir die Maulkörbe entfernen.

Gut, das ist jetzt seeeehr ordentlich übertrieben. Täglich Autofahren würd mich komplett wuggi machen, mein Fahrrad löst in mir schon beim alleinigen Anblick einen Endorphin-Schub aus. Dennoch war ich gestern Abend dann kurz deprimiert und dachte mir: Ich bin sowas von null Vorbild. Da pfeif ich am Blog von wegen Nachhaltigkeit und Ökologie und schlagmichtot herum, und selbst fahr ich mitm Auto durch die Stadt und überleg doch wirklich glatt, mir Diskonter-Röcke zu kaufen.

Aber ich habe beschlossen, mir das zum Vorteil zu machen – weil mir eines dann klar wurde: Dass ich zum abgehobenen Fundi werd, das wird mir nicht passieren. Diesen Hang zum Konsumismus, zum Hedonismus, den werde ich immer nachvollziehen können, die Gefahr, dass ich Menschen wie ich selbst früher war nicht mehr verstehe, ist sehr gering. Ich kann selbst immer noch reinkippen in diesen Hang. Nur, dass ich ihn bewusst nicht immer ausleben möchte – ohne dass ich mich selbst geißle. Denn ein Auto zur Verfügung zu haben, wenn man am Wochenende raus zur besten Freundin aufs Land will (auch wenn sie so unmittelbar an der Bahnstrecke wohnt, dass man dem Lokführer vom Küchenfenster aus zuwinken kann, ich jedoch in der Stadt zur Bahnstation länger brauch als mitm Auto von meiner Wohnungstür zu ihrer Haustür), das ist einfach etwas, was das Leben einfacher und bequemer macht. Aber es sollt halt nicht permanent stattfinden, und ich sollt nicht aufhören, drüber nachzudenken, ob das jetzt gscheit ist.

Oder?

Ich hoff, ich bring das jetzt richtig rüber. Was ich sagen will: Ich selbst bemühe mich, meinen Konsum und mein Alltagsverhalten bewusst zu gestalten, bin mir aber im Klaren darüber, dass ein Leben ohne dieses bewusste Dingsda auch seine Vorteile und vor allem Bequemlichkeiten hat. Völliges Unverständnis wirds in diese Richtung von mir also nie geben. Auch wenn ich das nächste Mal definitiv öffentlich in den Dritten fahren werde, nicht vorhabe, mir in den nächsten Jahren ein eigenes Auto zuzulegen (weil ichs mir einfach nicht leisten kann und will), den textilen Angeboten weiterhin tapfer widerstehen werde, und mir den Jersey-Rock selbst nähe. Tschakka.

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5 Gedanken zu „Ich bin ein Realo-Fundi-Fundi-Realo

  1. Marlene sagt:

    Und genau deswegen mag ich deinen Blog so gerne! Weil du zeigst, dass du auch nur ein Mensch bist 😉
    Danke für deine tollen Beiträge, Nunu.

  2. Stadtpflanze sagt:

    Ich würde mich eher als „Realo“ einordnen, wenn überhaupt – aber mit „Lightversion“ hat das in meinen Augen überhaupt nichts zu tun. Realistisch zu sein bedeutet eben auch, sich Strategien zu überlegen, wie man mit veführungen im Alltag umgehen kann – statt den Alltag zu meiden (was dauerhaft den meisten Menschen nicht möglich ist). 😉

  3. anonymus sagt:

    Muß Stadtpflanze da zusstimmen, „Lightversion“ ist die falsche Bezeichnung. Denn in Wirklichkeit sind die Realos trotz niedrigerer Ansprüche an die Veränderung oft viel effektiver als die Fundis – weil’s einfach mehr Menschen schaffen wirklich mitzumachen.

    zb – man bringt viel eher 10 Leute dazu pro Woche einen veganen Tag zu halten als einen zum Vollveganer zu werden. Und da die Woche nur 7 Tage hat liegen selbst 10 Omnis mit einem veganen Tag insgesamt vorn. Und in Wirklichkeit ist das Verhältnis wahrscheinlich eher bei 1:50 oder so; dh. ober-verbissenes Fundi-sein so mit Vegetarier als Heuchler anpöbeln weil sie noch nicht vegan leben schadet in der Realität der Sache immens.

    • Michi Ela sagt:

      Liebe(r) Anonymus, danke für das wunderbare Beispiel! Das lässt sich wohl auf alle Veränderungsprozesse anwenden. Wie heißts so schön „Wenn viele kleine Leute an vielen kleinen Orten viele kleine Dinge tun, können sie das Gesicht der Welt verändern“. Dein Beispiel ist wirklich gut!

  4. Nanne sagt:

    Hallo Nunu,

    Ich kenne diese Frage zwischen Bequemlichkeit, Pragmatismus und bewusster Lebensgestaltung auch gut. Was ist machbar?

    Ich habe einen ähnlichen Artikel gerade verfasst, vielleicht magst du mal vorbei schauen:
    http://einfachsoleben.blogspot.de/2015/03/ich-will-minimalistisch-leben.html

    Mir fällt es bei Lebensmitteln überhaupt nicht schwer, nachhaltiger zu kaufen. Ich verzichte auch immer, wenn arbeitstechnisch möglich ist auf das Auto und nehme das Fahrrad (Das mit den Endorphinen ist bei mir ähnlich). Aufgrund meines Körpergewichts und meiner Körperformen ist es aber schwer, vernünftige Kleidung zu bekommen. Die nachhaltigen Jeans, die ich gekauft habe, passen mir nicht richtig und deswegen mag ich sie nicht tragen. Wie nachhaltig ist das dann? Wie nachhaltig ist nicht fair produzierte Kleidung, die ich dann aber trage, bis sie auseinander fällt? Ich versuche nur noch das zu kaufen, was ich wirklich benötige und trage und überall, wo es mir möglich ist, passt und bequem ist, faire Entscheidungen zu treffen.
    Aber es ist immer wieder ein bewusstes Entscheiden und Austarieren des persönlichen Weges.
    Liebe Grüße
    Nanne

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