Gina Tricot – oder: Nunu zerlegt mal wieder einen CSR-Report.

Ich hab mir gestern mal wieder den Spaß angetan und einen Nachhaltigkeitsreport einer Textilfirma gelesen. Bringt mich unter Garantie immer so herrlich an die Decke. Diesmal: Gina Tricot. Die sind inzwischen stolz darauf, dass über elf Prozent (a.k.a. bissl über ein Zehntel, da klingts dann gleich nimmer soooo viel) ihres Angebots aus „nachhaltigen Materialien“ besteht. Und sagen gleichzeitig, dass recycletes Polyester (ich sags gern immer wieder: wenn man Plastik recyclet, kommt trotzdem wieder Plastik raus – und bleibts nachm Wegwerfen der Kleidung) und BCI-Baumwolle (ich kann mich auch da gar nicht oft genug wiederholen: Die Better Cotton Initiative unterstützt konventionelle, gentechnisch veränderte Baumwolle! Nix mit Bio!) für sie zu nachhaltigen Materialien gehören.

gina tricot

Vorausschickend: Sie machen nicht alles falsch. Sie unterstützen wichtige Initiativen, sie haben besonders im ökologischen Bereich anscheinend festgestellt, dass es eine Umorientierung braucht. Aber:Im gesamten Report habe ich kein einziges Mal auch nur irgendwas über Existenzlöhne für die ArbeiterInnen gelesen, aber x-mal, dass Gina Tricot die Anzahl seiner Lieferanten verkleinert und diese oft besucht, um gute Beziehungen aufzubauen. Sie halten sich an den BSCI-Code of Conduct. In dem stehen zwar Sachen wie „keine Kinderarbeit“, dennoch wurde eine „Zero Tolerance“-Politik gegenüber Kinderarbeit anscheinend erst 2015 eingeführt. Bedenklich, dass es die Neueinführung dieser Politik jetzt erst/noch brauchte.

Neben ein paar zugegebenermaßen nicht unteressanten Details steht un-glaub-lich viel Blabla, der komplett am Kerngeschäft vorbeigeht, drin: 

  • Sie erklären wiederholt, dass der größte Energieverbrauch eines Kleidungsstücks beim Waschen durch die Konsumentin entsteht. Mag sein, aber hallo: Könnte man in dem Zusammenhang vielleicht auch mal den Energieeinsatz bei Lieferkette und Transport zumindest mal wahrnehmen? Ich will keinen Laden, der nur mit LED-Lamperln betrieben wird, als Superbeispiel in einem CSR-Report sehen, solange ich nicht weiß, dass sie die Sachen nicht um die halbe Welt schicken, bevor sie bei mir im Kleiderschrank landen. Noch dazu: EIN Laden. Von 183 Läden in fünf Ländern, und Franchises in anderen Ländern haben sie auch noch.
  • Mich machen Berichte ein bissl wuggi, die in jedem zweiten Satz das Wort „sustainable“ („nachhaltig“) haben, man sich aber aus den Fingern saugen kann, wie sie Nachhaltigkeit definieren. Im Materialbereich tun sie es schon mal definitiv nicht zu meiner Zufriedenheit….
  • In Dhaka führt Gina Tricot  in den Slums „bis 2016“ (und jetzt?) Vorschulen. Gut, aber auch am Kerngeschäft vorbei. Besser wäre es, den Näherinnen so viel zu zahlen und ihnen solche guten Arbeitsbedingungen zu bieten, dass sie es aus den Slums raus schaffen, aus eigener Kraft. Über das Missverhältnis der Bezahlung von Frauen in der Textilindustrie hab ich ja schon oft geschrieben, sogar in dem Land der Welt, in dem es sich mit dem wenigsten Geld pro Monat leben lässt, verdienen diese Frauen zu wenig. Da erscheint mir der Satz „Having their own income builds a more equal society“ in einem Nachhaltigkeitsreport, der in Schweden geschrieben wurde, fast schon zynisch und herablassend 😦 Diese Frauen haben oft einfach keine andere Möglichkeit, als zu bescheidenen Bedingungen nähen zu gehen. Mit „mehr Gleichberechtigung“ hat das wenig zu tun.
  • „Die Angestellten bei Gina Tricot sind fast ausschließlich Frauen im Alter von 20 bis 45 Jahren.“ Frage eins: Was ist mit den Frauen jenseits der 45?!? Die Firma gibt es seit 1998, da müssten bei Langzeitangestellten doch auch sicher welche dabei sein, die in Richtung Pension gehen.
  • Ausschließlich Frauen ist noch so ein Thema: An sich find ich es ja gut, dass es Arbeitgeber gibt, die Frauen bevorzugen (so sehr, dass in den schwedischen, norwegischen, dänischen und deutschen Shops der Kette kein einziger Mann arbeitet – nur in Finnland dürfen ganze drei Männer ran -, bei insgesamt 1079 Angestellten, wobei ich das sogar schon ein bissl schräg find, aber das ist mein persönlicher Geschmack und hat nix mit Gleichbehandlung zu tun). Nur: Der CEO ist ein Mann, der CSR-Direktor ist ein Mann, im Board of Directors ist dieser weibliche Überhang genau gar nicht abgebildet, da arbeiten sechs Männer und zwei Frauen. Bereits eine Hierarchieebene darunter ändert sich dieses Verhältnis zu Gunsten der Frauen, aber sorry, die Oberbosse über mehr als tausend Frauen sind also sechs Männer. Das wirkt zumindest mal ein bissl schräg auf mich. Ich muss da immer an einen Freund denken, der mal gesagt hat: „Mir könnens in der Firma noch so oft mit Gleichberechtigung kommen, solang der CEO ein Mann ist und das Putzpersonal aus Frauen besteht, könnens sch… gehen. Das ist dann keine gelebte Gleichberechtigung.“
  • Fast lachen musste ich bei folgenden Sätzen, in denen sie erklären, dass sie mehr auf Produktqualität setzen: „This was aimed at raising the quality level of all our products, and introducing quality variations to make our offering even more exciting to our customers.“ Das heißt auf Deutsch in meinen Augen quasi (ich kann das aber auch komplett falsch lesen, Widerspruch SEHR gern willkommen, ich find das nämlich wirklich arg, wenn das stimmt, wie ichs versteh): Wir bieten bessere Qualität höherpreisig an, aber befriedigen immer noch die Käuferschicht mit weniger Geld, indem wir ihnen miese Produktion und schlechte Qualität anbieten. So decken wir all unsere Käuferschichten ab, sie dürfen sich ja eh entscheiden, ob sie bessere Qualität kaufen wollen oder nicht. Wie wärs damit, die Qualitätsstandards ÜBERALL raufzusetzen? Sorry, aber so ein Satz ist zwar für ein kapitalistisch agierendes Unternehmen valide, aber hat einfach nix in einem Nachhaltigkeitsreport verloren….
  • Und ebensowenig dieser Satz: „Gina Tricot has nearly daily contact with students regarding questions about our operations. Every year we take in nearly 30 interns at our main office.“ Sie nehmen pro Jahr also 30 Praktikanten auf. Die sicherlich nicht wahnsinnig toll bezahlt werden und voll eingesetzt werden. Die schreiben doch echt, dass sie sich billige Arbeitskraft ins Headquarter holen, in ihren Nachhaltigkeitsreport. Noch mal: Rein aus Business-Sicht ist das komplett valides Vorgehen. Aber es ist nicht nachhaltig und vor allem gehts null um ihr eigenes Kerngeschäft, der Billigproduktion von Textilien.

Nur weil sie einen solchen Bericht draußen haben, sind sie um NICHTS besser als andere Unternehmen. Sie setzen an den üblichen Punkten der klassischen Textilhersteller an, da ein bissl Code of Conduct, dort ein bissl Better Cotton (aargh!), da eine Schule hinbauen (und schöne Bilder für Berichte im Heimatland produzieren), dort den Angestellten was vom Lichtsparen erzählen.

Ein solches Unternehmen sollte aber ganz andere Schwerpunkte setzen: Baumwolle aus biologischer Produktion, kein Plastik, hundertprozentige Recyclebarkeit der Produkte, DURCHGÄNGIGE hohe Qualitätsstandards für längere Haltbarkeit, keine neuen Kollektionen alle fünf Minuten, sichere und fair bezahlte Arbeitsplätze für alle in der Lieferkette (!!!), keine grauslichen Chemikalien, die ungefiltert in chinesischen oder indonesischen Flüssen landen.

Ich schreib das deshalb so ausführlich, weil ich immer mehr selbst vor einem Widerspruch stehe: Wenn du so ein Riesenunternehmen hast, dessen Kerngeschäft in sich einfach NICHT nachhaltig ist, wo setzt du an? Können diese Firmen überhaupt jemals wirklich nachhaltig sein, auf allen Ebenen? Das wäre dann ein Textilschwede, der beispielsweise NUR noch GOTS-zertifizierte Ware anbietet, ein geschlossenes Recyclingsystem hat, und nur noch 4 Kollektionen im Jahr. Vorstellbar? Nö. Wünschenswert? Ja!

Aber was mich am allermeisten aufregt, ist, dass diese Unternehmen – und Gina Tricot hat da echt den Vogel abgeschossen – die Verantwortung so wahnsinnig auf die Konsumentinnen umwälzen. Erstens wird auch in dem Report wie gesagt quasi kommuniziert, dass die größten Umweltschäden – weil der größte Energieverbrauch – bei der Endkonsumentin stattfindet. Ich bin also schuld, weil ich meine Tops wage zu waschen. Aha.

Und was mich eigentlich auf diesen ewig langen Artikel gebracht hat (Schulligung, ich hoff, ihr habt noch bis hier gelesen und seid noch nicht eingeschlafen): Sie haben gerade eine Kampagne draußen, in der sie Konsumentinnen erklären, welche Klassiker man braucht, damit man sich weniger oft neue Sachen kauft. Diese Klassiker sind natürlich alle von Gina Tricot. Schade, dass make it last, eine Initiative, die ich eigentlich recht nett find, weil sie versuchen, den Widerspruch zwischen Style und Nachhaltigkeit bei der Konsumentin aufzulösen, da mit eingestiegen ist. Wobei ich es ja witzig find, dass sie als Promo-Fotos ausgerechnet Jeans (Produktion irre wasser- und chemikalienintensiv) verwenden, noch dazu in einem Hochwasserschnitt, der vielleicht die kommenden Saisonen in sein wird, und dann wieder nimmer, im Video aber sagen, Klassiker sind ein gutes Paar Skinnies oder wers bequemer mag Boyfriendjeans – und die Dame im Video Schlaghosen trägt. Hä?! 😀 Wie jetzt?

Was bei mir ankommt: „Schau, liebe Kundin, wenn du diese Sachen von uns kaufst, bist du stilistisch komplett auf der sicheren Seite, kannst das alles mehrfach kombinieren“ (im Video ist das Beispiel eine Seidenbluse, die man im Winter mit langen Jeans, im Sommer mit Shorts tragen kann. Nein wirklich?!),“ und brauchst dir keine anderen neuen Sachen von einer anderen Marke kaufen. Kauf bei uns, dann bist nachhaltig, weils so klassisch ist. Wie, fair produzieren? Nein, das tun wir nicht. Wieso? Was hat das mit Nachhaltigkeit zu tun?“

Hmpf.

Schönes Wochenende.

4 Gedanken zu „Gina Tricot – oder: Nunu zerlegt mal wieder einen CSR-Report.

  1. Danke, dass du dir mal wieder so einen Report angetan hast um uns davon zu berichten.
    Ist doch supi, wenn man als Firma die Schuld auf die Konsumenten abwälzen kann, dann braucht man selbst fast nichts mehr ändern. Schon traurig, wenn man mal wirklich darüber nachdenkt.

  2. stoffscharnier sagt:

    Liebe Nunu,
    ich finde Deinen Artikel mal wieder sehr informativ – und nicht zu lang! Du hast mal wieder absolut recht, kritisch zu sein – allerdings habe ich bei „make it last“ folgende Aussage von Anna Brismar unter „what ist sustainable fashion?“: Virtually all major clothing companies in Sweden today have a work in progress in the area of ​​sustainability, particularly in the production phase, …
    Hä? Das sehe ich nun wiederum etwas kritisch … Gut, work in progress kann ja alles Mögliche heißen…
    Lieben Gruß,
    Michaela

  3. knoedel sagt:

    „introducing quality variations to make our offering even more exciting to our customers“ klingt für mich so, als würden sie die Qualitätskontrolle weglassen – die Qualitätsschwankungen sind dann so aufregend für die Kundschaft.

  4. Lara sagt:

    Hallöchen, ich muss dir absolut recht geben. Ich selber habe lange Zeit bei GT gearbeitet und letztendlich wird die ganze scheisse an den Mitarbeitern rausgelassen. GT ist nichts besser als die ganzen anderen Modeketten. Um jeden Preis Kohle machen und am Personal sparen wo es nur geht. Qlickenqirtschaft inklusive. Zwei Personen am besten über den ganzen Tag in den Laden gestellt und bestmöglichen Umsatz erzielen. Auf der anderen seite wird so viel Geld für Mist ausgegeben und sich versucht in ein gutes Licht zu stellen. Zum Teil werden so unfähige MA eingestellt, die bekommen tausend Möglichkeiten die Läden kaputt zu wirtschaften und die die was können werden bis aufs letzte ausgenommen. Bei den Klamotten ist so eine riesige Spanne wenn es um Reduzierungen geht – schaut euch einfach mal den Sale an der immer direkt um 50% reduziert wird. Da kann doch nichts mit fairtrade etc am Start sein.

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