Es ist unglaublich, was in den letzten Wochen in diesem Land vorgeht. Ich muss jetzt mal schriftlich mein Gedanken ordnen – denn jedes Mal, wenn ich einen neuen Bericht lese oder von Bekannten und Freunden etwas Diesbezügliches höre, bleibt mir einfach nur der Mund offen stehen.
Das Thema: Traiskirchen. In einem Erstaufnahmezentrum für Flüchtlinge (gemessen an den Zuständen scheue ich mich so langsam, „Lager“ dazu zu sagen, da geht eine ganz eine üble Assoziationskette in mir los), das für fünfhundert Leute angelegt war, sind jetzt zwischen drei- und viertausend dort. Zwischen einem Viertel und einem Drittel der Leute schlafen am Lagergelände im Freien, es „gibt nicht genug Betten“ (Es gibt aber auch leerstehende Räume in dem Gebäude). Droht ein Unwetter, schickt das Innenministerium Busse, in denen die Flüchtlinge den Regensturm abwarten dürfen. Überhaupt scheint man es sich gerade auf Busse zu stehen: Nachdem wegen akuter Überlastung ein Aufnahmestopp verhängt wurde, ohne dass anscheinend ein anständiger Plan B für die Neuankommenden ausgearbeitet wurde, mussten diese 48 Stunden in Bussen verbringen. Abgestellten Bussen, wohlgemerkt, also Klimaanlage: Vergiss es. Locker 50 Grad kriegt es in solchen Bussen, und dann sitzen da drinnen vielleicht auch Mütter mit Neugeborenen.
Ich kenne einige Menschen, die bei der Caritas arbeiten. Die berichten Abstruses. Es gibt Schlangen, in denen man sich fürs Essen anstellt, welche für die Post usw. Es gibt relativ kurze Schalterdienste, gemessen an der Menge der Leute. Und da kommt es dann schon mal vor (kein Einzelfall!), dass Menschen sich stundenlang fürs Essen anstellen, so den Schalterdienst für Briefe verpassen, dort allerdings die Information auf sie wartet, in welches Flüchtlingszentrum sie weiter verlegt werden. Sie wissen das also nicht, wo sie hin kommen. Das Zentrum Traiskirchen listet sie jedoch aus ihrer Bewohnerliste aus und schmeißt sie auf die Straße. Da stehen sie dann, können nicht mehr rein, und wissen aber nicht wohin.
Eine meiner besten Freundinnen wohnt in unmittelbarer Nähe zum Lager. Ich hab schon mal einen Besuch bei ihr beschrieben. In der Gasse, in der sie wohnt, bleiben immer wieder Autos privater SpenderInnen stehen, werden Kofferräume geöffnet, wird an Flüchtlinge, die sich auf der Straße bewegen dürfen, verteilt. Sie und ich sind uns einig: Das ist super, wirklich unglaublich, dass es derzeit so viel Hilfsbereitschaft gibt. Aber sowohl sie als auch eine Freundin bei der Caritas sagen völlig berechtigt: Das private Spendenaufkommen ufert gerade etwas aus. Es wird unkoordiniert verteilt (allerdings gibt es da sehr löbliche Ausnahmen wie etwa Madeleine, die wirklich drauf schaut, dass sie die Dinge organisiert, die wirklich gebraucht werden), es kommt fast zu Raufereien unter den Flüchtlingen, und ausgemistete Frauenkleidung braucht dort kaum noch wer (vor allem frage ich mich, was die Frauen dort, aus muslimischen Ländern stammend, mit Miniröcken anfangen sollen). Ich selbst habe an die Caritas gespendet, in finanzieller Form, da es nicht nur um Sachspenden geht, sondern auch darum, die Versorgung vor Ort zu finanzieren. Nochmal, ich finde es fantastisch, wie geholfen wird, und bin da auch gerne ein Teil davon, aber ich denke, dass ein koordinierter Ablauf sinnvoller ist.
Eine Freundin hat letztens außerdem etwas gesagt, was mich ebenfalls sehr nachdenklich gemacht hat: „Die Leute sollen nicht nur Essen beim Zaun durchreichen, sie sollen sich hinsetzen mit den Leuten und mit ihnen essen.“ Umso toller finde ich die Aktion von Laila, einer Studienkollegin von mir: Sie organisiert Picknicks für Flüchtlinge und WienerInnen als Ort der Begegnung.
Es sind untragbare Zustände in Traiskirchen, es kann und darf so nicht weitergehen. Ich krieg echt Wutanfälle, wenn ich lese, was Amnesty International – Generalsekretär Heinz Patzelt vom Lokalaugenschein berichtet. Und wenn die Innenministerin auf den erschreckenden Bericht von AI erklärt, das sei „keine Überraschung“. Und wenn die leider größte Tageszeitung in Österreich völlig erstunkenen und erlogenen Mist publiziert (jeden jüngeren Redakteur würde dieser Beitrag übrigens garantiert den Job kosten, bei Jeanee seh ich da leider schwarz).
Das offizielle Österreich stellt sich unfähig an, reagiert falsch, reagiert nicht, macht einen auf überfordert. Allerdings gehe ich noch einen Schritt weiter: Ich bin überzeugt davon, dass das Kalkül ist. Dass international vermittelt werden soll: Wir gehen über vor Flüchtlingen, wir können nicht mehr aufnehmen, und liebe Flüchtlinge, bei uns ist es scheiße, ihr wollt gar nicht zu uns. Ich stehe mit dieser Meinung nicht allein da. Ein schlimmeres Armutszeugnis kann es für Österreich gar nicht geben. Das Vorgehen erinnert mich an House of Cards, Frank Underwood, der sprichwörtlich „über Leichen geht“; damit er der öffentlichen Meinung seinen Spin verpassen kann.
Die Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken – die sind zwar eine Katastrophe, aber so angenehm weit weg, die haben wir nicht vor Augen. Aber die, die hier sind, die sehen wir. Und behandeln sie von offizieller Seite wie ein Stück Sch. Das ist so unfassbar zynisch – und dumm! Denn liebe Politik, liebe Leute: Diese Menschen, die hier ankommen: Die werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bleiben. Und es liegt an uns, mit anständigen Integrationsangeboten dafür zu sorgen, dass es klappt mit ihnen. Nehmen wir ihnen alles weg, geben wir ihnen nichts, heißen wir sie nicht willkommen, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn es zu erhöhter Kriminalität und dergleichen kommt. „Woher nehmen, wenn nicht stehlen“ ist halt nicht nur ein Sprichwort.
Ich liebe mein Zuhause. Ich liebe meine Stadt. „Ich liebe mein Land“, das konnte ich schon früher nicht sagen, weil ich mich nur wenig mit dem Konzept der Ländergrenzen identifiziere. Aber derzeit kann ich sogar lauthals sagen: Ich hasse das offizielle (!) Österreich. Und: Ich bin nicht einverstanden mit dem, was von politischer Seite da gerade abgeht. Ich will diese Menschen, die für diese Zustände in Traiskirchen verantwortlich sind, nicht mehr an der Macht sehen. Diese Menschen vertreten mich nicht. Und nur dass wir uns da jetzt nicht falsch verstehen: Ich will eine Regierung, die das Wort Integration versteht und in sinnvolle Programme umsetzt. Denn so toll ich diese Welle an Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung finde: Es darf nicht alles von uns übernommen werden. Von politischer Seite werden Menschenrechte gebrochen, und die Zivilgesellschaft hilft, dies abzufangen. Ich erwarte jedoch, dass die Zivilgesellschaft gleich gar nicht in diese Troubleshooter-Rolle kommen muss!
Ich bin einfach nur noch sauer.
Danke für diese Worte, Nunu!
Danke für den Artikel! Koordination ist wirklich ganz wichtig!
Und bitte auch etwas mehr Nachdenken! Ich sehe bei vielen Leuten die zb Essen nach Traiskirchen bringen, daß sie sich nur wenig Gedanken um Nährwerte machen. Obst wird zwar viel gebracht, aber Gemüse eher weniger und was ganz schlimm ist – sehr viel Süßkram wie Kekse und Kuchen. Das ist zwar wirklich super lieb gemeint von den Leuten – sie wollen den Menschen in Traiskirchen eben einen kleinen Luxus gönnen – aber so zuckriges Zeug macht blöderweise nur schlecht satt; im Gegenteil, es macht einen nach einer halben Stunde noch hungriger als vorher, es macht einen rastlos und es kann die Leute sogar aggressiv machen. Alles Dinge, die die Leute in der Situation echt nicht brauchen können.
Hartgekochte Eier oder Dosen mit Kichererbsen oder fertiges Hummus wären ernährungstechnisch deutlich besser. Gerade die Kinder und Jugendlichen brauchen Eiweiß, die sind ja noch im Wachstum.
Daher bitte, bitte Leute wenn ihr Essenspakete herrichtet, denkt auch an sinnvolle Nährwerte! Dh. langsame Kohlenhydrate, Eiweiß, ein wenig Fett und was vitaminhaltiges wie Obst und Gemüse. Ein paar zusätzliche Kekse im Packerl sind kein Problem, aber Süßkram sollte echt nicht der Hauptteil sein.
Hallo,
die Situation in manchen Erstaufnahmezentren in Deutschland sieht leider ähnlich aus. Da ich zur Zeit in China bin, erfahre ich nur durch die Nachrichten, was los ist. Überall ist von der Überforderung der Behörden zu lesen.
Gruß
Grace