Warum ich den Textilschweden noch schlimmer als alle anderen finde…

Als ich heute aufgewacht bin, hatte ich eine Nachricht von meiner Lieblingshindi: Müde klickte ich auf den von ihre geschickten Link und sofort war ich auf hundertachtzig: Der Textilschwede macht jetzt auf nachhaltig mit seiner neuen Kette ARKET. Da steht: „An den Pullovern werden sich kleine Schilder finden, darauf ein QR-Code, mit dem jeder nachverfolgen soll, woher dieser Pullover kommt.“ Ich hab mir das online mal angeschaut, und ich find es so dreist, dass ich H&M fast schon wieder Respekt zollen muss, Eier muss man haben: Zum Beispiel diese Jeans.

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(Symbolfoto)

Ja, sie ist aus Biobaumwolle, und ja, sie legen den Lieferanten (Pimkie Apparels) in Bangladesh offen. Denkt man sich: Pfoah, super, die sind ja voll ehrlich und transparent! Aaaber:

  1. Wer ist Pimkie Apparels? Darüber finde ich auf der Seite direkt keine Info. Und nur so nebenbei: Auch die beschissensten Nähereien in Bangladesch haben NAMEN. Das macht sie noch zu nichts Besonderem. Ich habe keine Info darüber, wie in dieser Fabrik produziert wird, kein Gütesiegel, keine Aussage über Produktionsbedingungen, null. Ich habe einfach nur den Namen und habe mich zu freuen, dass Arket mir den Namen der Fabrik – mit dem ich nichts anfangen kann – sagt.
  2. Nachdem Arket eben zur H&M Gruppe gehört, liegt ein Verdacht nahe: Diese Jeans kostet bei Arket sechzig Euro (gemessen an dem Marketing rundherum, den hohen Ladenmieten durch Läden in Bestlage und dem sonstigen Chichi geh ich von Produktionskosten irgendwo zwischen fünf und zehn Euro aus, und das ist wahrscheinlich noch hoch angesetzt). H&M könnte die exakt gleiche Jeans, Biobaumwolle, made in Bangladesh, eigentlich auch in seinen rotbuchstabigen Ursprungsfilialen verkaufen. Dort wären die sechzig Euro gefühlt aber ganz schön hochpreisig. Was macht man also? Man bastelt eine neue, teurer wirkende Marke (was sie mit COS, and other Stories, Weekday usw eh schon machen) – und damit man sich ein neues Kundensegment abholt, gibt man dieser neuen Marke auch noch ganz allgemein den Anstrich „nachhaltig“. Das Produkt und seine Herstellungsweise bleibt gleich, der Marketingschmäh ist ein anderer, und schon kann man ein Drittel mehr für die Hose verlangen. Dass denen das nichtmal peinlich ist, ihre eigenen KundInnen so zu verarschen…
  3. Brav, wie ich bin, hab ich nicht nur einen ersten Blick auf die Seite geworfen, sondern auch einen zweiten. Unter „Sustainability“ finde ich folgenden ääääußerst umfangreichen Infoblock: Bildschirmfoto 2017-09-24 um 11.16.27Heißt: Nachhaltigkeit heißt für uns Langlebigkeit (kein Wort von Bio, kein Wort von fairer Produktion!), und abgesehen davon, dass wir passende Materialien auswählen (Umkehrschluss: tun sie das bei den anderen Läden von H&M also nicht?), erzählen wir den KundInnen, dass sie bittegarschön auf ihre Sachen aufpassen sollen, damit sie lang halten.
  4. Und eines werde ich nicht müde zu erwähnen: So enttäuschend sie oft sind, H&M macht jedes Jahr einen Nachhaltigkeitsbericht. Wie jedoch meine Nachfrage vor einiger Zeit ergab: Dieser Bericht gilt NUR für die Kernmarke H&M und nicht für die ganzen Tochtermarken COS, and other Stories und – ich geh mal davon aus – auch nicht für Arket. Sie gründen mehr und mehr Sub-Marken, und verabsäumen es jedoch, für diese Marken von vornehereinmal ein Berichtswesen einzuführen (ich glaub jetzt nicht, dass ein Nachhaltigkeitsbericht die Lösung allen Übels ist, aber er ist ein wichtiger Schritt, um vor allem im Unternehmen selbst für mehr Bewusstsein für Nachhaltigkeitsindikatoren zu sorgen). Heißt: Arket macht auf nachhaltig, berichtet aber nicht mal? (wie gesagt: Annahme. Die Marke ist zu neu.) EDIT: Ich habe von H&M eine Mail bekommen und stelle mit großer Erleichterung richtig: Ihre Nachhaltigkeitsberichte gelten sehr wohl für die GANZE Gruppe. Find ich absolut super!

So unfassbar viel Dreistigkeit! Und alles nur, weil der Textilschwedenkonzern um jeden Preis sein Image des bösen Fast Fashion Herstellers verlieren möchte und höherpreisig wahrgenommen werden möchte. Is ja auch logisch, wenn man dann bei gleicher Produktionsweise gleich mal viel mehr verdienen kann und die nervigen kritischen KonsumentInnen auch gleich mal befriedigt.

Nein, mich befriedigt das ganz und gar nicht. Einer der weltgrößten Konzerne für schnelle Mode – dessen absolutes Kerngeschäft es also ist, möglichst VIELE Fetzen pro Person zu verkaufen, was nur funktioniert, wenn man die KonsumentInnen zum Kaufrausch und zur Geizistgeil-weilichesmirwertbin-Mentalität erzieht – nutzt bei seiner neuen Kette ARKET das Schlagwort „Nachhaltigkeit“ scheinbar einzig und allein als Marketingstrategie. Und genau das macht den schwedischen Konzern für mich zum noch viel, viel Schlimmeren als die restlichen riesigen Fast Fashion Hersteller.

Natürlich könnte man die ganze Sache argumentativ jetzt umdrehen und sagen: „Hey, die setzen wenigstens an allen Ecken und Enden an und machen wenigstens was.“ – aber einige dieser Schritte könnten in meinen Augen falscher nicht sein. Zu Arket zu gehen und zu glauben, man hat jetzt umweltfreundlich und sozial konsumiert, einfach, weil man es so gern glauben möchte, und der dahinterliegende Konzern mir eh sagt, in welcher Fabrik meine Hose genäht wurde, sollte in uns allen den Bullshitradar sehr weit ausschlagen lassen. Das ist wie in den Supermarkt gehen und Bauerneier kaufen, auf denen nicht die glücklichen Hühner, sondern der glückliche Bauer abgebildet ist:

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Danke Maria für das Foto – und ja ich weiß, billig und haha, aber sorry, das, was ich versuche zu erklären, beschreibt diese misslungene Verpackung sehr gut:

Was ich damit sagen möchte (und was der Textilschwede geschickter macht als der österreichische Eierproduzent): Man kann alles so verpacken, dass KonsumentInnen das glauben, was sie glauben wollen. Sogar eigene Konzerninteressen, die nicht dem entsprechen, was das Produkt vermitteln soll. Verurteilenswert wird es dann, wenn mit Verkaufsstrategien gearbeitet wird, die die KonsumentInnen im Glauben lassen, etwas zu einer Verbesserung des Systems beizutragen.

Nicht falsch verstehen, es braucht mehr Transparenz und Offenheit a la Arket, aber es braucht sie ohne dahinterliegende Konzerninteressen, die echten Nachhaltigkeitsinteressen diametral entgegenstehen. Geht sich nämlich nicht aus, schon rein von Kerngeschäft her, liebe Schweden.

Und liebe LeserInnen, es ist mir ein echtes Anliegen: Bitte fallts mir nicht auf diesen neuesten Marketingschmäh rein. Wenn euch Produkte bei Arket gefallen, bitte, kauft sie, wenn ihr wollt, aber kauft sie nicht, weil ihr glaubt, die Produkte bei Arket sind besser als die bei H&M.

4 Gedanken zu „Warum ich den Textilschweden noch schlimmer als alle anderen finde…

  1. Wolf sagt:

    Greenwashing vom feinsten. (Ist „fairwashing“ ein Wort?)

  2. kolrabi sagt:

    Grauslich, danke für den Artikel!!!!

  3. […] ökologisches Unternehmen und wird es nie sein. Nichtmal, wenn ihr einen auf transparent macht (Transparenz, die etwas milchig ist in meinen Augen). Macht euch nicht mit jeder Mini-Aktion zum Weltretter. Beispiel: Ihr produziert mit Polyester, […]

  4. Sabiene sagt:

    Das nennt man Greenwashing, oder? Manchmal überlege ich, was besser ist: So ein Fake-Bio-Produkt kaufen, um ein Signal zu setzen oder nicht. Denn eine Kaufverweigerung würde Geld sparen, andererseits könnten sich die Händler dann beruhigt zurücklehnen, weil Bio oder Fair offensichtlich nicht angenommen wird.
    LG Sabienes

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