mirno more – so viel mehr als nur ein Projekt

So. Ich hab ja letztens geschrieben, dass ich keinen Kopf für eine Lobeshymne auf mirno more habe. Gestern hatte ich ihn dann doch. Und er ist gleich mal ungspitzt un direkt auf woman.at gelandet. Nachdem man dieses Projekt aber gar nicht genug loben kann, poste ich den Artikel auch hier, schließlich hab ichs gschrieben, nüm? 🙂

Los gehts. Hach, ich bin schon wieder ganz sentimental….

Rückblende, es ist geschätzt 2004 herum. Oder wars 2003? Keiner weiß es mehr so genau, allerdings kann ich mich an diesen einen Abend noch sehr gut erinnern – ich lernte auf einer Wohnungsparty G. kennen. G. war am selben Tag von einer Reise zurückgekommen und etwas daneben. Leuchten in den Augen, das nur teilweise mir galt. Er war nämlich Segeln gewesen. Und ich so: „Boah, Neid!“ In Kroatien. „Boah, Neidneid!!“ Das Ganze war ein Sozialprojekt, bei dem sozial benachteiligte und geistig oder körperlich beeinträchtigte Kinder mitfuhren. „Boah, spannend! Wie nennt sich das?“ Friedensflotte mirno more nennt sich das.

Mirno More 2015 (2)

Er erzählte von der unglaublichen Stimmung, alle sehr positiv, die Kinder voll motiviert, es gibt keine Ausgrenzung, alle feiern gemeinsam, die einzelnen Gruppen am Schiff lernen den Umgang miteinander (wer schon mal länger segeln war, weiß: Wenig Platz, viele Leute aufeinander, jeder muss mithelfen, damit alles hinhaut – das kann stimmungstechnisch auch ziemlich in die Hose gehen). Begonnen hatte mirno more 1994, als man mit Kindern aus den diversen ex-jugoslawischen Staaten gemeinsam segeln ging und ihnen beibrachte, wie sinnlos Vorurteile gegen die anderen und wie wichtig Friede für alle Einzelnen ist. Beim Segeln hat jede/r seine oder ihre Aufgabe, und nur wenn alle mitmachen, funktioniert das Dahingleiten auf den Wellen. G. war Teil des Organisationsteams, die hinter und vor den Kulissen für einen reibungslosen Ablauf der Woche sorgten. Er schwärmte so sehr, dass ich sofort meinte, da wolle ich auch mitfahren. Daraus wurde nix. Aber eine Freundschaft mit G. wurde, für ein paar Jahre.

Schnitt. 2013: G. findet mich auf Facebook wieder, und ich finde sofort heraus: Der ist da immer noch dabei. Tolle Fotos, lachende Kinder, herrliche Meeresbilder, diese Stimmung dort, ich will da einfach unbedingt mal mitfahren. Hach. Schön UND sinnvoll!

Und DESHALB heißt der Kapitän Kapitän. Obwohl er ein Admiral ist.

Und DESHALB heißt der Kapitän Kapitän. Obwohl er ein Frattmiral ist.

Schnitt. 2015. G. und ich sind inzwischen wieder sehr gut befreundet, und eines Tages im März ruft er mich an: „Es ist ein Platz frei geworden im Organisationsteam für mirno more, bist du noch interessiert?“ Aber sowas von!! Ich sagte zu, ohne mit der Wimper zu zucken, ganz egal, wieviel Arbeit da auf mich zukommen würde, ich wollte unbedingt bei diesem Projekt mitwirken.

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Ende September ging es dann los, zu meiner ersten Flottenwoche. Ich ahnte schon im Vorhinein, dass diese Woche wohl etwas mit mir machen würde – und ich wurde nicht enttäuscht. Bereits in den Tagen zuvor zappelten alle, die ich bereits kannte, nur noch unruhig herum und konnten die Abfahrt kaum erwarten. Um sieben Uhr früh trafen sich viele der Wiener TeilnehmerInnen am Hauptbahnhof, um im Konvoi gen Kroatien zu fahren. Die Kinder: Eine entzückende Mischung zwischen „noch nicht ganz wach“ und „aufgeregt, aber man darfs mir nicht anmerken“.

Einen Tag später gings dann offiziell los – alle Schiffe, die aus den unterschiedlichsten Häfen in der Umgebung starten, kamen in der Marina Frapa in Rogoznica an. Allein schon die Menge der Schiffe ist beeindruckend, es sind insgesamt 106, und auf jedem sind ca. acht bis zehn Personen. Binnen kürzester Zeit wuselt es in der Marina vor lauter Kindern. Am Nachmittag wird gespielt, am Abend gibt es die feierliche Eröffnung inklusive Konzert und Disco. Beim Konzert wird bereits sonnenklar, worum es geht: Geistig beeinträchtigte Jugendliche spielen gemeinsam mit „gesunden“, und zwar sowas von talentiert und leidenschaftlich, dass ich mit offenem Mund zuschaue. Alles um mich herum tanzt, umarmt sich, freut sich. Man merkt den Kindern an, dass diese Auszeit von ihrem Alltag, in dem sie sicherlich vielerorts Ausgrenzung in irgendeiner Form erleiden müssen, ihnen vom ersten Moment an gut tut.

Mirno More 2015

Diese Freude zieht sich durch die ganze Woche. In den ersten Tagen denke ich noch bei einzelnen Kindern, denen keine Behinderung anzusehen ist, welchen Hintergrund sie wohl haben: Viele sind aus betreuten WGs oder ähnlichen Einrichtungen. Warum dürfen sie nicht bei ihren Eltern aufwachsen? Gab es Gewalt in der Familie? Waren die Familien überfordert aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten? Es gibt viele Möglichkeiten. Doch bereits am dritten Abend stelle ich fest: Es ist einfach egal! Es zählt bei mirno more nicht, wo du herkommst, sondern nur, dass du du bist und du Teil der Flottenwoche bist. Über 950 Kinder, 100 BetreuerInnen und 60 Menschen im Organisationsteam – das macht über 1000 Schicksale. So viel Toleranz, so viel Akzeptanz und positives Miteinander ist mir lange nicht begegnet, und in so großem Ausmaß überhaupt noch nie.

Mirno More 2015 (1)

Die Woche führt uns in verschiedenste Häfen, und das Programm ist bunt: Es gibt Trommelworkshops, olympische Spiele für die Kinder, eine Segelrallye, ein riesengroßes Fest, bei dem die TeilnehmerInnen selbst das Programm erarbeiten (und mir bei der Tanzeinlage einiger beeinträchtigter Kinder die Tränen runterrinnen vor Rührung), und viele, viele Segeltörns samt Badestopps.  Einer der Teilnehmer ist Alex, er hat Trisomie. Alex erfindet umgehend einen weiteren Programmpunkt: Er macht in der Früh immer Yoga, und viele Leute machen mit. Manchmal verwechselt er Yogapositionen ein bisschen mit Breakdance, aber auch das ist egal: Alle haben Spaß.

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Alex ist auch derjenige, der für mich die Woche an einem der letzten Abende perfekt zusammenfasst. Melli, die ebenfalls geistig leicht beeinträchtigt ist, ruft ihm „Hallo Hohlkopf!“ zu. Einer der Betreuer meint sofort: „Aber Alex ist doch kein Hohlkopf!“ Melli lacht: „Ach, der ist das gewohnt, das sag ich jeden Tag zu ihm!“ Alex steht neben mir und grinst mich an: „Stimmt auch! Aber es ist egal, oder?“ Er hat absolut recht. Es ist egal.

Ich habe übrigens gerade den berühmt-berüchtigten Flottenblues. Kaum zwei Wochen wieder zurück, zähle ich bereits die Tage bis zur nächsten mirno more Flottenwoche. Mit einem Leuchten in den Augen.

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Infos:

http://www.mirnomore.org/

Projektbeschreibung mirno more: http://www.mirnomore.org/mission/ und https://de.wikipedia.org/wiki/Friedensflotte_mirno_more

Video: https://www.youtube.com/watch?v=mppPxE4e42Q

Getaggt mit ,

4 Gedanken zu „mirno more – so viel mehr als nur ein Projekt

  1. Frau Jule sagt:

    wow, das hört sich total cool an. und ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich das ganz schön wenige betreuer*innen für so vile kinder/jugendliche finde. respekt! leider ist segeln nicht so ganz meines, sonst würde ich sowas sicherlich für mein sabbeljahr ins auge fassen. danke für die vorstellung dieses projektes. ich kann mir sehr gut vorstellen, was dieser trip mit dir gemacht hat 😉
    liebe grüße,
    jule*

  2. […] bin da jetzt mal eine Weile beschäftigt. Lieber Kapitän, das mit deiner Mütze wird noch ein bissl dauern, sorry. Und übrigens: Eine ganz wunderbare Frau, […]

  3. […] Händen. Egal, ich will auf was anderes raus: Wenige Monate nach meinem „Entzug“  war Friedensflotte, dieses unglaubliche, wunderschöne, geniale Projekt, dessen diesjährige Wiederholung ich gar […]

  4. […] Tagen sehr viele Texte darüber geschrieben, wie unglaublich super mirno more ist. Ich hab auch voretztes Jahr hier darüber geschrieben. Letzte Woche war es wieder so weit. Eine Woche mit neun anderen am Segelschiff, eines von 97 […]

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