Ich hab mich komplett in „Where am I wearing“ festgelesen – und wiedermal sind meine mühsam aufgebauten Wertigkeiten durcheinandergeschüttelt worden. Ja, es gibt das Argument, dass man doch bitte weiterhin konventionelle Mode kaufen soll, denn so haben die ArbeiterInnen wenigstens einen Job. Ich hab das bisher immer kritisch gesehen, weil ich mir dachte: „Aber dann ändert sich ja nix! Irgendwie muss man als kritischer Konsument hier im Westen doch ein Zeichen setzen können!“
Kelsey Timmerman hat sein Buch 2007 recherchiert und geschrieben – danach kam die Wirtschaftskrise. Die wir in Österreich zwar wenn, dann wirklich nur marginal gespürt haben. In den USA hat sie jedoch voll zugeschlagen. Und dementsprechend ging dort der Konsum signifikant zurück. Die US-Amerikaner kauften weniger, nutzten ihre Eigentümer länger.
2007 traf Timmerman in Kambodscha zwei Näherinnen, die beide vom Dorf kamen, und als Jeansnäherinnen in der Stadt ihr halbes Gehalt nachhause schicken mussten, um ihre Familie zu ernähren. Die eine wollte unbedingt einen Schönheitssalon eröffnen, die andere träumte von einem fixen Vertrag – zum damaligen Zeitpunkt kontne sie jederzeit rausgeschmissen werden. Er begleitete sie in ihre Heimatdörfer, lernte ihre Familie kennen, lies sich von den Brüdern der einen auslachen, als er bemerkte, dass er in einem Ameisenhügel stand.
Als die Krise zuschlug, wirkte sie sich auch auf Kambodscha aus. Signifikant viele Fabriken schlossen, die NäherInnen wurden schlagartig arbeitslos. Timmerman recherchierte, wie es den beiden Mädels (deren Namen ich vergessen hab, aber das Buch liegt zwei Zimmer weiter, ich kann so unglaublich faul sein, sorry) ging. Sie hatten „Glück“, die eine war inzwischen Mama und verkaufte Beautyprodukte in und vor ihrem Haus, die andere hatte eine Anstellung in einem Hotel gefunden. Anstrengend, aber angestellt. Viele andere jedoch hatten nicht so viel Glück, auch hier gibt es eine erhebliche Dunkelziffer, was Prostitution oder sogar Selbstmorde angeht.
Es ist doch wirklich teuflisch. Einerseits haben wir Westeuropäer und US-Amerikaner den globalen Süden quasi versklavt, sehr pauschal gesprochen und dennoch auf die Textilindustrie gemünzt. Und jetzt müssen wir dieses System erhalten, damit die Sklaven nicht komplett verhungern? Das ist ein Form der Co-Abhängigkeit, die sicherlich keiner der beiden Parteien (den reichen, kaufenden Westlern und den Arbeit suchenden Kambodschanern) eingefallen wäre. Das ist auf dem Mist einiger, weniger, verabscheuenswürdig geldgeiler Menschen gewachsen und außer Kontrolle geraten. Aber halt, so einfach ist es nicht: Wir sind auch gewaltig mit Schuld daran, dass es so weit gekommen ist, indem wir über 25 Jahre das günstige Angebot mehr als nur genossen haben und nicht weiter darüber nachgedacht haben, wo es herkommt und wie es hergestellt wurde.
Nur, was machen wir jetzt? Ja, ich stehe da draußen für einen einjährigen Konsumboykott, den ich aus persönlichen Gründen begonnen habe. Ich bin auch überzeugt, dass man „gut“ konsumieren kann und so die bessere, faire Form der Produktion unterstützen kann. Ich hab halt immer noch keine Lust auf konventionelle Mode, das ist auch im letzten Jahr nicht wiedergekommen. Ich denke oft darüber nach, was die Kollegin mir mal gesagt hat – dass es vielleicht doch besser wäre, würden die Mädchen nicht in die Stadt gezwungen, sondern würden arm zwar, aber am Land und in der Landwirtschaft bleiben – und kann mich immer noch nicht entscheiden, ob ich ihr rechtgeben oder entschieden widersprechen soll. Ich weiß nur für mich persönlich: Ich weiß, wie gesegnet ich allein durch den Ort meiner Geburt bin. Ich weiß, dass ich nicht komplett gedankenlos durch die Gegend gehen will, und ich weiß, dass ich so gut wie möglich sozial und ökologisch verträglich Produziertes kaufen möchte.
Vor allem dieser Gedanke, dass wir hier es wahrscheinlich kurzfristig dort schlimmer machen, weil wirs besser machen wollen für die ArbeiterInnen, der nervt. Aber konsequent durchgedacht bin ich eine von denen, die – wenn sich der von uns proklamierte „gute Konsum“ durchsetzt, die Jobs einiger KambodschanerInnen auf dem Gewissen haben, plakativ gesprochen. Es ist doch gemein, dieses Gefühl, dass man nichts richtig machen kann.