Ich habe an den letzten Wochenenden und Abenden viel Zeit damit verbracht, meine Wohnung zu entrümpeln. Die Wohnung ist recht groß, und obwohl es meistens zumindest im Wohnzimmer recht aufgeräumt wirkte, war ich doch in den letzten Wochen jedes Mal „belastet“, wenn ich die Tür aufsperrte. In den verschiedenen Schränken war es unaufgeräumt, oben auf den Schränken stapelte es sich und über den Inhalt meiner diversen Schreibtisch- und Kommodenladen hatte ich längst den Überblick verloren. Kurz: Es fühlte sich nicht gut an. Ich hatte das tiefe Bedürfnis, mich von ganz viel Zeug zu trennen, das in meiner Wohnung einfach am falschen Ort war.
Auch bei der Kleidung ging es mir so. Mein Konsum findet zwar nicht mehr bei „bösen“ Anbietern, sondern fast nur noch in Form von Second Hand Käufen oder Tauschparties statt (hin und wieder gönnte ich mir auch ein neues biofaires Teil). Doch gerade weil bei einer Tauschparty schnell mal laut „Hier! Ich!“ gerufen werden kann, stieg die Menge meiner Kleidung innerhalb der letzten zwei Jahre wieder signifikant an.

(Symbolbild von pixabay, ich habs nicht so mit Mustern)
Bereits seit Wochen dachte ich mir: Ich muss das jetzt mal angehen. Aber die schiere Masse erschlug mich fast. Und der Gedanke, was ich wohl in den Schreibtischladen oder oben am Küchenschrank alles finden würde….oioioioioi. Doch dann sah ich vor kurzem in einer Buchhandlung dieses Buch:

Von vielen Aussagen auf den ersten Seiten fühlte ich mich angesprochen. Auch der Autor erklärte, dass sein Zeug ihn besaß und nicht umgekehrt. Es ging mir zwar zu weit, aber es inspirierte mich trotzdem.
Ich begann zu räumen. Im Wohnzimmer schaffte ich es, ein Viertel des Regals, das eigentlich nur mit „Zeugs“ gefüllt ist, zu leeren. Von den Schreibtischladen sind nur noch die Hälfte gefüllt und das sortiert (!). Ich trennte mich von drei Kisten voller Bücher – welche, von denen ich mir eingestand, dass ich sie nie wieder lesen würde, und welche, von denen ich wusste: Dich hab ich zwar noch nicht gelesen, werd ich aber in diesem Leben auch nicht mehr tun. Das Bücherregal war dennoch immer noch gut gefüllt. In der Küche stellte ich fest, dass ich die liebgewonnene Tradition meiner Mutter, altes Küchenzeug mir zu vererben („Du ich hab mir eine neue Pfanne gekauft, ich bring dir die alte mit!“ – „Nein Mami, ich hab schon fünf Pfannen von dir!“ – „Aber was mach ich dann mit der? Geh komm, ich nehm sie dir das nächste Mal einfach mit.“), endlich beenden musste. Kein alleinwohnender Mensch braucht drei Nudelsiebe. Mein Kleiderschrank: Wieder übersichtlich und sortiert, Getauschtes, das im Endeffekt doch nicht getragen wurde, wird wieder weitergegeben. Für Kleidung, an der ich emotional hänge, habe ich die Regel: Ja, behalten, solange es in EINE Lade im Schrank passt. Weil beispielsweise die Weste von der Uroma werd ich garantiert auch in den kommenden 10 Jahren nicht mehr tragen, aber ich werde mich nie von ihr trennen können (wollen). Oder das rückenfreie braune Shirt, in dem ich jeden Sommer in meinen Studententagen verbracht hab und das ich mit so vielen schönen und lustigen Momenten in Verbindung bringe.

(auch wieder Pixabay, aber so könnts bei mir auch aussehen)
Profi war ich für „Krempelkisten“. Einfach schnell Zeug, das im Weg herum liegt, in eine Kiste räumen, aufn Schrank oder das Regal, und schnell vergessen. Was soll ich sagen, ich habe fünf solcher kleineren und größeren Kisten geleert und dabei Dinge wie meinen Arbeitsvertrag aus dem Jahr 2003 oder ein Feuerzeug mit der Aufschrift „Liste BZÖ – Jörg Haider 2006“ gefunden (letzteres ist zugegebenermaßen direkt in meine Vitrine mit skurrilen Dingen gewandert). Orangefarbene Bettwäsche aus der ersten eigenen Wohnung, ein Einzelset – völlig sinnlos, ich schlafe immer mit zwei weiß überzogenen Decken und Pölstern, mein persönlicher Luxus.
Ich trug ELF große Müllsäcke aus meiner Wohnung (drei davon allein aus der Küche, danke auch, werte Mehlmotte, und lerns endlich, dich brauch ich nicht als Mitbewohner), ich füllte die Altpapiertonne einmal komplett allein (Tschulligung an dieser Stelle, liebe Nachbarn, mach ich nie wieder, versprochen!). In meinem Wohnzimmer stapelt sich immer noch Zeug, das zu schade für die Tonne war. Demnächst werde ich die eine oder andere Freundin „empfangen“ und aussuchen lassen. Alles, was übrig bleibt, geht ins Caritas-Lager, einige Stücke werde ich auf willhaben stellen. Hauptsache, das Zeug ist bald WEG.
Ich arbeitete mich Zimmer für Zimmer vor. Wohnzimmer, Badezimmer, Schlafzimmer, Küche, Schrank. Das Herrliche an diesem eigentlich recht nervigen und anstrengenden Prozess war: Ich wusste, ich nehme gerade jedes einzelne Teil in meinem Besitz in die Hand und entscheide, ob ichs behalte oder nicht. Und an welchen Ort es in Zukunft kommt. Und mit jedem Teil, bei dem ich mir dachte: Nö, weg damit (und da waren einige schwere Entscheidungen dabei!), fühlte ich mich besser. Ich wusste, ich wollte nicht alles wegwerfen, aber ich wollte sortieren und Ordnung in mein Leben bringen.
Bei diesem Gefühl wurde mir dann klar: Boah. Befreiend. Ich sortiere da grad nicht nur meine Wohnung, sondern mein Leben. Ich kenn mich inzwischen glaub ich ganz gut, und wenn sich dieses bamstige Gefühl in der Magengegend breit macht, das ich innere Unruhe nenne, dann weiß ich; Ich muss was tun, was ändern, ich sollte so nicht weitermachen. Und genau diese innere Unruhe füllte die letzten Wochen meinen gesamten Bauchraum aus, es ist viel los in meinem Leben und ich hatte langsam das Gefühl, ich hab nicht mehr alles im Griff. Bei der Entrümpelei merkte ich: Ich schaffte Platz für neue Gedanken, neue Ideen, neue Impulse. Ich trennte mich von Teilen meiner Vergangenheit, um Raum zu schaffen. Und was soll ich sagen: Noch fehlt ein Zimmer (oh Vorzimmerschrank, wie mir vor dir graut…), aber ich merke: Die innere Unruhe ist … ruhig geworden. RuhigER zumindest.
Als ich das letztens mit einer lieben Freundin besprach, meinte die wie aus der Pistole geschossen: „Das ist dein nächstes Buch! Minimalismus!“ – „Aber das gibts doch schon, ich hab dir doch grad von dem Buch von dem Japaner erzählt! Und auch nach meiner Ausmistaktion gehe ich noch lange nicht als Minimalistin durch, will ich auch gar nicht! Das ist doch nur wieder ein neuer Trend, der darauf aufbaut, dass wir Menschen kollektiv überfordert sind vom Tempo unseres Lebens und vom Überangebot in Sachen Konsumgüter.“ – „Nein, nicht so extrem! Diesen Superextremminimalismus gibts grad überall, auf jeder Trendseite im Netz, jede Influencerin, die was auf sich hält, macht einen auf Minimalismus, total anstrengend“, meinte sie. „Aber zwischen Kaufsucht und gar nix haben ist soooo ein breites Feld, und ich finde, man kann dem Leuten schon klar machen: Nur weil du das grad kaufen kannst und jetzt in dem Moment sicher auch total sinnvoll findest, heißt das nicht, dass du es kaufen musst! Und wieder viel mehr auf die immateriellen Werte pochen, mit denen gehts uns doch viel besser als mit viel Zeugs!“
Da hatte sie recht. Es geht mir viel besser mit weniger Zeugs, mit Überblick über meine Besitztümer und dieser Ruhe, die in mir selbst einkehrt, wenn ich merke, dass es mich glücklich macht, dieses noch so schöne Teil da jetzt NICHT zu kaufen, weil ich mir einfach nicht wieder was in die Wohnung stellen will. Selbst wenns vom Flohmarkt ist.
Eigentlich breite ich da gerade eine sehr einfache Geschichte riesengroß aus (könnte auch daran liegen, dass ich hustig und schnupfig zuhause liege, mir stinkefad ist und ich eine schlechte Kranke bin, ich kann nicht nix tun). Aber für mich liegt sehr viel dahinter: Die Freundin hat nämlich absolut recht: So gut mir das Entrümpeln meines Lebens getan hat – dem Minimalismus steh auch ich sehr kritisch gegenüber. Natürlich ist es total spannend, sich selbst zu testen und zu schauen, wie weit komm ich mit wie wenig Besitz (jede/r, der schon mal eine Weile mit Rucksack auf Reisen war, wird wissen: je weniger, desto weiter 🙂 ), und der bunt funkelnden Konsumwelt da draußen kritisch gegenüberzustehen. Aber bei jeder neuen fancy Bloggerin, die Minimalismus für sich entdeckt, krieg ich extrem gemischte Gefühle. Einerseits freu ich mich total, dass auch sie auf den Überkonsumwahnsinn in unserer Welt hinweist, aber andererseits habe ich einfach nur riesigen Bammel, dass Minimalismus als Megatrend gerade genau nur das ist: Ein Trend. Und Trends wechseln schnell. Minimalismus als Trend führt zu leeren Regalen – und wenns einem dann mal fad wird in der leeren Behausung, kann man ja lauter mehr oder weniger sinnvolle Dinge kaufen, um den Schrank wieder zu füllen. Und genau das wird passieren, wenn der Trend mal abgeklungen ist (ich nehme jene Menschen, die Minimalismus als langfristigen Lebensstil begreifen, von meiner Kritik aus. Aber ich glaub, Minimalismus ist langfristig subjektiv genauso wenig erfolgreich wie Diäten, das schaffen vielleicht 10 Prozent der Menschen, die es versuchen).
Manchmal reicht es, sich klarzumachen, dass man
- den Überblick über den eigenen Besitz haben sollte, zu jedem Zeitpunkt.
- sich nicht langfristig glücklich kaufen kann, egal, um welche Produkte es sich handelt.
- keine Dinge braucht, die einem zeigen, was man mal machen wollte, vor langer Zeit (wieso hatte ich eigentlich zwei Sets an inzwischen eingetrockneten Tempera-Farben? Weil ich einmal vor zehn Jahren mal fünf Bilder gemalt hab?)
- KEIN MENSCH auf diesem Planeten drei Nudelsiebe braucht. Mama, du auch nicht.
Das Buch kann ich trotzdem empfehlen, es gibt sehr gute Impulse. Aber dieses Ding mit „Was ist das eigentlich, dieses Ding zwischen Überkonsum, bewusstem Konsum und Minimalismus? Da ist doch noch was dazwischen?“ lässt mich immer wieder beim Hausverstand landen. Was viel und was wenig ist, ist in den allermeisten Fällen subjektiv zu beurteilen. Aber den Weg, weniger konsumieren und uns damit innerlich etwas freier zu machen, den kann ich objektiv empfehlen.
Die Gedanken „Wann ist genug?“ – „Was braucht man“ und „Welcher Besitz ist mir wichtig“ lassen mich dennoch nicht mehr los. Wo ist die Grenze zwischen „ich hebe Gutes auf, ich kanns ja noch mal brauchen, ich hau doch kein Geld für Neukauf zum Fenster raus“ und „ich hab zu viel Zeug“? Muss man sich Minimalismus erstmal leisten können? Und nachdem ich innen und außen grad uuurviel Platz hab für Neues, bin ich auf eure Meinungen gespannt! 🙂